Inspirierende Pflanzen

„Jeder Busch, jeder Baum kann den Menschen dabei belehren, ihn beraten und ihm Erfindungen, Apparate technische Einrichtungen sonder Zahl vorweisen“, meint der Botaniker Raoul Francè
(*20. Mai 1874; † 3. Oktober 1943 ) in seinem Buch „die Pflanze als Erfinder“. Der Mitbegründer der  Biotechnologie ließ sich selbst dabei  vom Klatschmohn für eine erste ausdrücklich der Natur abgeguckte „Erfindung“ inspirieren. Nach dem Vorbild der Samenkapsel der Pflanze entwickelte er einen Salzstreuer, den er sich patentieren ließ. Durchsetzen konnte sich seine Erfindung allerdings nicht. Mit Francés Streuer „für Gewürze, Medikamente und dergleichen“ konnte man nicht punktgenau streuen. Zum Salzen eines Frühstückseis eignete sich der Streuer des frühen Bionikers jedenfalls nicht, denn eine Mohnkapsel ist nämlich auf weite und breite Streuung ihrer Samen optimiert.

Die Pflanze mit den leuchtend roten Kronblättern streut ihre Samenkörner in einem Radius von bis zu 4 Metern aus. Dabei hilft ihr der Wind, der die winzigen Samenkörner nicht nur verweht: Die spezielle Konstruktion der Samenkapsel mit ihrem dachartigen Überbau beschleunigt den Wind wie eine Turbine.  

In dem Neubaugebiet, in dem ich seit Anfang Juli wohne, gedeiht der Klatschmohn gut auf den frisch angehäuften Mutterbodenhalden.  Die wohl bekannteste Ackerbegleitpflanze findet auf dem kalkreichen Boden der „Kalkeifel“ offenbar beste Standortbedingungen.

Auch meine inzwischen umgesiedelten Bienen freuen sich über die erfreulicherweise noch im September blühenden Pflanzenhorste auf dem im vergangenen Jahr aufgeworfenen Boden. Der Klatschmohn liefert ihnen zwar keinen Nektar, aber die auffällige Pflanze gehört zu den produktivsten Pollenlieferanten unter den Blühpflanzen. Trotz ihrer kurzen Blühphase – eine Einzelblüte vergeht schon nach zwei Tagen – produziert jede einzelne Blüte rekordverdächtige 2,5 Millionen winzige, blauschwarze Pollenkörner. Gerade im Frühherbst ist das eine gute Aufbaunahrung für die jetzt heranwachsenden Winterbienen.  Mit dem Rückgang der Temperaturen und der Abnahme des Trachtangebotes lässt auch die Eiablage der Bienenkönigin nach und wird im Laufe des Septembers ganz eingestellt. So kommt es, dass immer mehr Bienen schlüpfen, die „arbeitslos“ sind und von den noch aktiven Stock- und Sammelbienen mit Pollen versorgt werden. Aufgrund dieser Diät legen die noch jungen Winterbienen körpereigene Fett- und Eiweißdepots an. Sie und der eingelagerte Honig helfen ihnen den Winter zu überstehen.

Leider hat es der Klatschmohn wie die meisten typischen Ackerpflanzen heute schwer, sich auf den Äckern der industriellen Landwirtschaft zu behaupten. Von den 350 Ackerpflanzen, die früher einmal zusammen mit den Kulturpflanzen auf unseren Getreidefelder wuchsen, gelten nur 20 als echte Problemunkräuter, weil sie die Ernte erschweren, sich in das Saatgut mischen oder giftige Stoffe enthalten. Deshalb hat die Loki-Schmidt-Stiftung den Klatschmohn 2017 zur Blume des Jahres gewählt um darauf hinzuweisen, dass mit der Verarmung der Ackerflora auch die ökologisch mit den Pflanzen verbundenen Insekten und Vögel verloren gehen.

Der Klatschmohn gehört zu den weniger problematischen „Unkräutern“. Von den Anbietern von Herbiziden wird ihm ein „mittleres Konkurrenzpotential“ zugeschrieben. In der Logik der neuzeitlichen (Nutz-) „Planzenschützer“ ist das Grund genug, klassische Kulturfolger wie den Klatschmohn, die Kamille oder die völlig harmlose Kornblume mit einer ganzen Palette an chemischen Substanzen den Garaus zu machen. Man nennt das dann beschönigend „pfluglosen Ackerbau“ oder „Unkrautmanagement“.

Und hier schließt sich der Kreis. Um noch einmal auf meine Einleitung zurückzukommen: Im Moment sieht es eher danach aus, dass wir die Chancen, von dem „Erfindungsreichtum der Pflanzenwelt“ zu profitieren, leichtfertig verspielen. Die meisten Ackerpflanzen stehen bereits auf den roten Listen der vom Aussterben bedrohten Pflanzen.

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