Jeden Tag ein Stück Natur

Jeden Tag ein Stück Natur – das Seitenmotto – will nicht allein den Artenverlust beklagen. “Jeden Tag ein Stück Natur” heißt auch die Augen zu öffnen für unsere Mitwesen.

Wenn Feldhase oder Hamster, die einmal Gewinner der Inanspruchnahme des Landes durch den Menschen waren, heute akut vom Aussterben bedroht sind, dann entwickeln wir aufwendige Rettungsaktionen. Medienkampagnen erzeugen Aufmerksamkeit, oft mehr für die Initiatoren als für die betroffenen Tierarten. Ist es der Kuscheltiereffekt, der den genannten heimatlichen Wildtieren hilft, an die Gefühle der Menschen zu appellieren? Wie kommt es, dass wir vom stillen Sterben der meisten Geschöpfe jenseits unserer ferneren animalischen Verwandten noch nicht einmal Notiz nehmen.

Natur verschwindet in rasendem Tempo. Menschliches Handeln bringt nicht nur in tropischen Regenwäldern den Artenreichtum unseres Planeten in akute Lebensgefahr. Auch auf unseren Agrarflächen, in den Forstrevieren und in den Rückzugsflächen entlang der Verkehrsstraßen findet Artensterben statt. Man schätzt, dass eine Million aller bekannten Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht ist.

Nach menschlichen Maßstäben verläuft der Verlust an Biodiversität langsam. Aber in den evolutionären Zeiträumen passiert der Artenschwund in einem nie dagewesenen rasenden Tempo. Arten wie die Bienen, die seit über 25 Millionen Jahren in Europa heimisch sind und eine ungeheure Formenvielfalt entwickelt haben, sterben innerhalb weniger Jahrzehnte aus. Seit 1900 haben wir weltweit die Bestände der Wildpflanzen und Wildtiere im Mittel um 20% verringert. Von den rund 8.000.000 Spezies, die es auf der Welt schätzungsweise gibt, ist mittlerweile jede achte Art vom Aussterben bedroht.

In Deutschland sind 33% der Wirbeltiere, 34 % der wirbellosen Tiere, 31 % der Pflanzen und 24% der Pilze und Flechten in ihrem Bestand gefährdet oder bereits ausgestorben, schreibt der NABU.

Jeden Tag verschwindet ein Stück Natur. Täglich werden in Deutschland rund 56 Hektar als Siedlungsflächen und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Das entspricht circa 79 Fußballfeldern täglich. Hinzu kommen die modernen Betriebsweisen der Land- und Forstwirtschaft, die alle wilden Spezies in Bedrängnis bringen.

Zu weit entfernt haben wir uns von dem, was wir Natur nennen, zu wenig wissen wir über sie. Wir überlassen es in der Regel den Experten, sie zu erfassen und zu beschreiben. Ihren Schutz haben wir vergleichsweise wenigen engagieren Laien und einer oft zahnlosen oder politisch instrumentalisierten Umweltbürokratie überlassen. Die kämpfen wie einstmals Don Quijote gegen die Windmühlen der  Interessensgruppen und Konzerne, denen Umweltschutz häufig nur dann ein Anliegen ist, wenn es ihren Zwecken oder ihrem Image dient.

Naturschutz beginnt im Herzen der Menschen. “Wir müssen wieder die Liebe und die Empathie für die Natur erneuern, die wir verloren haben, als wir unseren Flirt mit dem Stadtleben begannen. ” formuliert James Lovelock eine Forderung, die ich mit meinen kleinen Naturskizzen unterstützen möchte. Für den britischen Autor ist unsere „Urbanisierung“, die Ausbreitung städtischer Lebensformen, die selbst die Landbewohner erreicht hat, schuld an dieser Entfremdung von den Mitgeschöpfen wenn er feststellt: „Selbst zu Shakespeares Zeiten waren Städte klein genug, dass er an einem Ufer spazieren gehen konnte, an dem wilder Thymian blühte. “

Meim Projekt www.tagebuchnatur.de möchte dazu beitragen, zu einem neuen Respekt für die facettenreiche Vielfalt der heimischen Lebensformen zu kommen. Ich will hier den Blick auf unsere lokalen Mitwesen lenken, denen unsere Kultur wenig oder gar keine Beachtung schenkt. Beschreiben will ich Tiere, die man nicht in Zoos besuchen kann, denen die überlieferten Tierfabeln keine vermenschlichten Eigenschaften angedichtet haben, denen kein Kinderbuchautor in den Rang einer Kultfigur verholfen hat.

Den gleichen emotionalen Zugang brauchen wir auch für die Vielfalt der Pflanzen, denen nicht das Privileg gehört, dass sie in botanischen Gärten und in Parks wegen ihrer Exotik gesammelt werden. Wir haben vergessen, dass unsere Wildpflanzen zum unverzichtbaren Inventar unserer Landschaften und Naturräume gehören. Wir beachten stattdessen unsere eigenen Pflanzenschöpfungen, Zuchtlinien, die im Bereich der Kulturpflanzen von uns hinsichtlich Ertragssteigerung, Anpassungsfähigkeit, Qualitätssteigerung, bessere Stoffaufnahme und Resistenzen „optimiert wurden, die aber ohne unser Zutun nicht lange überlebensfähig wären.

Bei den Zierpflanzen züchten wir aus Wildpflanzen immer spektakulärere und üppigere Blütenstände, mit auffälligerem Blattwerk, bizarreren Wuchsformen. Aus den natürlich weltweit vorkommenden 250 Wildrosenarten sind zum Beispiel bis heute etwa 30.000 Kulturrosen entstanden. Viele haben ihren ökologischen Wert als Pollenspender und Nektarlieferant für Insekten verloren und gedeihen nur noch in der Obhut der Menschen.

Allerweltspflanzen wie der Löwenzahn oder das Gänseblümchen kennen wir, aber was wissen wir denn über sie? Die meisten Pflanzen fristen in unserer Wahrnehmung nur ein “Mauerblümchendasein”. Wir gehen achtlos an ihnen vorüber und sehen nicht, wie faszinierend ihre Anpassungsleistungen sind, ihre Strategien Bestäuber anzulocken, wie sie es schaffen trotz ihrer Verwurzlung sich neue Lebensräume zu erschließen. Wir übersehen , dass in der Natur das Zusammenspiel der Arten mindestens so spannend ist, wie die isolierte Betrachtung einer Spezies.

Keine Pflanze und kein Tier lebt für sich allein, und auch der Mensch in seinen künstlichen Welten wird nicht ohne die Natur, die er so achtlos zestört, überleben können. In ihrem filigranen Netz spielt jede Spezies eine wichtige Rolle und hat eine wichtige Funktion. In der Natur hängt alles mit allem zusammen. Jedes Verschwinden einer Art hat Auswirkungen auf das Naturganze. Keine Spezies ist verzichtbar, selbst die Zecken nicht.

Zum Bild: Die Hundsrose, rosa canina ist eine der heimischen Wildrosen, die zur Zucht von heute über 30.000 Kulturrosen verwendet wurde.

Quelle: CC-Lizenz https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/62/Rosa_canina_6.JPG

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