Von den Vögeln kennen wir das Verhalten, den Winter in wärmeren Klimazonen zu verbringen, und mit dem bekannten Kinderlied drücken wir unsere Freude über ihre Wiederkehr aus. Doch unter unseren heimischen Falterarten gibt es auch solche, die die wechselhaften Temperaturen in Mitteleuropa nicht mögen und lieber im Mittelmeerraum oder in Nordafrika die kalte Jahreszeit verbringen.
Die bekanntesten Saisonflüchtlinge unter den Großfaltern sind der Admiral und der Distelfalter. In ihren Stammgebieten sind sie das ganze Jahr über aktiv, aber zu uns fliegen sie nur im Mai oder Juni ein, wo sie dann zwei Faltergenerationen begründen, die erste von Juli bis August, die zweite von September bis Oktober. Beide Faltergenerationen treten im Herbst den Weg in ihre Stammgebiete an. Die erste Elterngeneration schafft das bei einer Lebensspanne von einem Jahr meistens nicht mehr. Das größte Hindernis dabei sind die Alpen, die sie auf dem Weg zu uns überqueren müssen. Viele Falter schaffen den nicht und verenden. Den Weg zeigt ihnen ihr Sonnenkompass, vielleicht auch die Erinnerung an markante Landmarken oder auch das Erdmagnetfeld, das weiß man noch nicht so genau.
Den weiten Flug zu uns schaffen sie vor allem dank dem Südwind, der Gott sei Dank in diesem Jahr endlich eingesetzt hat und uns wärmere Temperaturen auch in der Eifel bringt. Dem Exemplar eines Distelfalters, das direkt neben mir zum Nektartanken gelandet ist, sieht man an, dass es eine strapaziöse Reise hinter sich hat. Sein linker Flügel ist etwas ramponiert.
Seinen Namen hat er wegen seiner Lieblingsspeise bekommen. Seine Eier legt er zwar jetzt noch nicht an den Disteln ab und auch vom Nektar kann der erwachsene Falter noch nicht naschen, aber zur Not tut es der Löwenzahn auch. Und auch wenn seine Vorliebe für Disteln als Platz für die Eiablage eindeutig ist, muss die erste Generation von Raupen auch mit anderen Gewächsen Vorlieb nehmen, gerne zum Beispiel Brennnesseln oder Moschusmalven. Um sich vor Fressfeinden zu schützen, spinnen die Raupen aus Blättern der Futterpflanze ein Nest, das sie nicht verlassen.
Selten ist der Distelfalter nicht und er ist weltweit verbreitet. Nur in Südamerika findet man ihn nicht. Und er ist auch dort nicht beliebt, wo man Disteln wie die Mariendistel gewerbsmäßig anbaut. Dort können die Distelfalterraupen ganze Äcker kahlfressen, wie aus Österreich berichtet wird.
Dort, wo wir Menschen mit unseren Monokulturen den Tisch für eine Spezies wie diesen ansonsten harmlosen Falter so reich decken, dürfen wir uns nicht wundern, dass es zu Masseneinflügen von ungeladenen Gästen kommt. Aus der Perspektive des Tiers gilt die Devise: „Der liebe Gott lässt doch für alle wachsen!“
Die Natur funktioniert offensichtlich nicht nach den Gesetzen der Ökonomie. Wo es ein großes Angebot gibt, da gibt es auch immer eine große Nachfrage.