Dem Insektenkenner wird auffallen, dass an diesem Bild nur wenig stimmt. Ich sage es gerade heraus. Eine Eintagsfliege auf einem Erdbeerblatt ist nur der Tatsache geschuldet, dass ich sie in einem freundlicheren Ambiente fotografieren wollte als auf der dunklen Kellertreppe, wohin sie sich verflogen hatte.
Eigentlich findet man dieses Urinsekt in der direkten Nähe von Fließgewässern. Hier ist es zu Hause und hier spielt sich sein ganzer Lebenszyklus ab. Und der ist länger als es der Name des Tieres glauben macht.
Richtig ist, dass die Imago, das voll entwickelte und geschlechtsreife Insekt, nur einen bis vier Tage außerhalb des Wassers lebt um dann zu sterben. Als entomologische Laien vergessen wir oft, dass jedes Insekt eine mehr oder weniger lange Metamorphose durchläuft. Und bei der Eintagsfliege dauert die Entwicklung vom Ei über mehrere Larvenstadien und die Verpuppung immerhin drei Jahre. So betrachtet relativiert sich dasThema der kurzen Lebensspanne, wie es in der volkssprachlichen Namensgebung zum Ausdruck kommt.
Der “eine” Tag im Leben der Imago ist prall gefüllt mit essentiellen Lebensprozessen. Im Eiltempo durchlaufen die geschlechtsreifen Insekten das Entpuppen und die Befruchtung. Die männlichen Imagines sterben unmittelbar nach dem Geschlechtsakt, der über dem Wasser vollzogen wird, während die begatteten Weibchen den Rest ihrer knappen Lebenszeit in großen Schwärmen flussaufwärts ziehen, um ihre etwa jeweils 9000 winzigen Eier dem Wasser als Mutter allen Lebens anzuvertrauen.
Da bleibt keine Zeit für die Aufnahme und das Verdauen von Nahrung. Das Insekt hat keine funktionierenden Fresswerkzeuge und der Darm ist in dieser letzten Lebensphase prall gefüllt mit Luft, und stützt so das Außenskelett.
Drei lange Chitinfäden am Hinterende stabilisieren den Flug der Tiere. Aber es gibt noch eine anatomische Auffälligkeit, die den Namen Eintags-FLIEGE schlecht gewählt erscheinen lässt. Die Wissenschaft benennt die Artengruppe der Eintagsfliegen, von denen es allein in Mitteleuropa über 100 verschiedene gibt, korrekter mit „Ephemeroptera“, was übersetzt soviel bedeutet wie „die für einen Tag Flügel hat“. Fliegen und Mücken heißen dagegen „Diptera“, Zweiflügler, mit wissenschaftlichem Namen. Und schaut man genauer hin, erkennt man unter den beiden großen vorderen Hautflügeln ein zweites, kleineres Paar Flügel, womit die Insekten eher den Libellen oder den Schrecken ähneln.
Im Gegensatz zu den wendigen Libellen besitzen die Eintagsfliegen jedoch einen Kopplungsmechanismus, der den Flügelschlag der beiden Flügelpaare während des Fluges synchronisiert. Eine Zuordnung zu den Libellen scheidet deshalb aus und sie bilden eine eigene Ordnung in der Klasse der Insekten.
Zusammen mit den Köcherfliegen und den Steinfliegen bilden die Larven der Eintagsfliege den größten Anteil der Kleinlebewesen in unseren Gewässern. Zur Beurteilung der Wasserqualität unserer Fließgewässer ist ihr Vorkommen ein wichtiger Bioindikator.
Eintagsfliegenlarven leben vegetarisch von Algen und Pflanzenresten, sind aber für höhere Organismen wie Fische, Libellenlarven oder Wasserkäfer eine Hauptnahrungsquelle. Und auch die ausgepowerten Imagines dienen am Ende den Forellen als willkommene Beute.
Mir selbst bleibt am Ende dann noch eine Frage: Wie kommt das Tier überhaupt in unseren Garten? Das nächste Fließgewässer ist fast einen Kilometer Luftlinie entfernt.
Im Frühjahr habe ich in einem Betonkübel eine Seerose als Bienentränke mitgebracht. Ihr Blattwerk ist für Insekten aller Art eine willkommene Landemöglichkeit zum Wassertanken geworden. Der Ableger der Pflanze stammt von der Ahr und hatte die Flut überstanden ohne weggespült worden zu sein. Das könnte den unerwarteten Besuch erklären.
Mein Erdbeerblatt hat der Eintagsfliege hoffentlich geholfen als Startbahn für die Suche nach einem Bachlauf, wo sie ihren Lebenszyklus artgerecht beenden kann. Denn auch sie wollte sicher ihre Bestimmung im vielschichtigen Zusammenspiel der Arten erfüllen.