Bizarrer Spinnensex

Klimawandel erkennt man nicht nur an der Häufung von Trockenperioden und an verheerenden Wetterkapriolen wie dem Starkregen vor mehr als einem Jahr. Auch die Kleinfauna hält Überraschungen bereit, die Folgen der Erderwärmung sind.

Ein Beispiel ist die Verbreitung der Wespenspinne. Vor 50 Jahren hat man die Tiere ausschließlich in der Oberrheinischen Tiefebene oder im Rhein-Main-Gebiet antreffen können. Mittlerweile sind Wespenspinnen auch in unserem Garten im Eifeldorf Marmagen angekommen, also in einer eher kühleren Gegend.

Der auffällige Achtbeiner gehört zu den echten Radspinnen. Das Spinnenweibchen hängt ihr Netz relativ bodennah auf und fängt dort in erster Linie größere, springende Beutetiere wie z.B. Grashüpfer und andere Wieseninsekten.

Das Spinnennetz der Wespenspinne ist auffällig, weil ein deutliches Zickzackband eingewoben ist, über dessen Funktion unter den Fachleuten noch keine endgültige Klarheit herrscht. Vielleicht dient es als eine Art Köder, der die Aufmerksamkeit ihrer Beutetiere erregt. Diskutiert wird auch, dass das Netz damit verstärkt wird, damit es nicht reißt, wenn mal ein dicker Brummer dagegen prallt.

Die auffällige Warnfärbung, der die Spinne ihren Namen verdankt, ist nicht ihre einzige Verteidigungsoption. Wenn sie sich bedroht fühlt, versetzt sie ihr Netz in Schwingungen, mit dem Effekt, dass ihre Konturen mit dem Hintergrund verschwimmen. Oder sie lässt sich an einem Sicherheitsfaden aus dem Netz fallen und versteckt sich auf dem Boden.

Das Spinnenmännchen ist wesentlich kleiner und unscheinbarer als das etwa 2 cm große Weibchen.

Genauso unterschiedlich wie die äußeren Merkmale von Spinnenmann und Spinnenfrau sind die absolut konträren sexuellen Interessen. Entsprechend bizarr gestaltet sich der Spinnensex.

Bei den Weibchen, die zwei Geschlechtsöffnungen besitzen, gilt es als erstrebenswert, sich mit möglichst vielen Männern zu paaren. Polyandrie, Vielmännerei, nennt man dieses Verhalten in der Biologie. Das Spinnenmännchen dagegen will die Paarung mit Nebenbuhlern verhindern, um so ausschließlich seine Gene exklusiv weiterzugeben.

Mit Hilfe seiner Pedipalpen, das sind die zu Begattungsorganen umgebauten Vorderbeine, muss das Männchen seine Spermien in den Geschlechtsöffnungen des Weibchens platzieren. Aber das wird zu einem lebensgefährlichen Unternehmen.

Angelockt durch Pheromone, die die Paarungsbereitschaft des Weibchens signalisieren, bewegt sich das fortpflanzungswillige Männchen vorsichtig auf das im Zentrum des Netzes sitzende Weibchen zu. In einer Art Hochzeitstanz umschlingt der Bräutigam nun seine Auserwählte mit feinen Fäden, bis das Weibchen seine Paarungsstellung einnimmt. Von jetzt an muss es schnell gehen. Das Männchen kriecht unter den Bauch seiner Partnerin, verhakt eine seiner Pedipalpen in der Geschlechtsöffnung des Weibchens, setzt sein Samenpaket ab, um dann bei seinem Rückzug in einem Akt von Selbstverstümmelung den Vorderteil seines Geschlechtsorgans abzureißen, der die weibliche Geschlechtsöffnung für seine männlichen Konkurrenten verstopft.

Wenn es ihm dann gelingt für diesen grotesken „Quickie“ unterhalb von sieben Sekunden zu bleiben, hat er eine Chance dem Weibchen zu entwischen. Wenn nicht, dann wird der Spinnenmann kurzerhand verspeist. Auf den Koitus folgt der Exitus. In der Welt der Spinnen gibt es etliche Beispiele für solchen Geschlechtskanibalismus. Der Satz: „Ich habe dich zum Fressen gern“ bekommt eine sehr konkrete Bedeutung. Der zweite Vorteil dieses Verhaltens aus Sicht der mordlustigen Spinnenbraut liegt auf der Hand. So kann sie von weiteren Liebhabern begattet werden.. Wenn das Weibchen mit seinem giftigen Biss zuschlägt, bevor das Männchen die Geschlechtsöffnung blockieren kann, haben weitere Freier ihre Chance.

Welches Männchen dann seine Gene am Ende weitergeben kann, ist nicht erforscht. Mit den Samenvorräten mehrerer Männchen entscheidet das Weibchen dann, welche Samen ihre Eier befruchten dürfen. Biologen nennen das „Kryptische Weibchenwahl“.

Überlebt das Männchen seinen ersten Spinnensex, dann lungert es in der Nähe des Netzes und wartet auf seine Chance, das Weibchen ein zweites Mal zu begatten und wieder die Geschlechtsöffnung mit seinem verstümmelten Geschlechtswerkzeug zu verschließen. Gelingt dem Männchen sein sexuelles Himmelfahrtskommando auch beim zweiten mal, werden ausschließlich seine eigenen Gene zur Eibefruchtung beigesteuert. Und bei diesem zweiten Versuch lässt der Spinnenmann sich alle Zeit, die er noch hat. Denn nach dem Sex wartet nur noch der Tod in Form eines kannibalischen Mahls für seine Gattin. Seine Mission ist vollbracht. Das Gift der Spinnenfrau verwandelt den Körper des Opfers in eine breiige Substanz und wird aufgesaugt. Liebe, so sagt man, geht durch den Magen.

Mich erinnert der Begattungsakt der Wespenspinnen an Friedrich Nietzsche, der seinen Zarathustra sprechen lässt: „Alles am Weibe ist ein Rätsel, und alles am Weibe hat eine Lösung: sie heißt Schwangerschaft. Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind.“

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s