In den Fasti, einem antiken Lehrgedicht des Ovid über die Feiertage der Römer, erzählt dieser eine merkwürdige Anekdote aus der römischen Götterwelt. Ein dickbäuchiger, glatzköpfiger Satyr mit dem Namen Silenus entdeckt in einem hohlen Baum Honig, den er an Ort und Stelle verspeisen will. Die wehrhaften Bienen revanchieren sich mit Stichen auf seine Glatze und seine platte Nase, woraufhin Silenus von seinem Esel fällt, der ihn zu allem Übel auch noch mit seinen Hufen traktiert. Das veranlasst die Gesellschaft des Bacchus zu Spott und Gelächter.
Auch wenn die derben Späße der Römer nicht meine Art von Humor sind, kann ich zumindest verstehen, warum die Botaniker das Taubenkropf Leinkraut mit dem Namen „Silene vulgaris“ bezeichnet haben. Offensichtlich hat sie der bauchige, untere Teil ihres Blütenkelchs an den stattlichen Bauch des Satyr erinnert.
Die auffällige Anatomie der Lichtnelkenart mit ihren tiefliegenden Nektarien verrät uns, dass sie ihren Nektar nur an die langrüssligen Schmetterlinge preisgibt. Dabei werden weißblütige Arten vorzugsweise von Nachtfaltern beflogen , während rot- oder rosablühende Arten Tagfalter anziehen.
Wahrscheinlich hat der ungewöhnlich warme November die Pflanze zum Blühen gebracht. Normalerweise liegt die Blüte der Lichtnelkenart im Spätsommer. Aber jetzt hat sie ein Problem: Sie wird Ende November keine Bestäuber mehr finden. Zwar sind die Silenen auch zur Selbstbestäubung fähig, aber bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, wie sie für das Wochenende vorhergesagt sind, werden sie wohl keine Samen mehr bilden können.
An Frühjahrsblühern wie den hier häufig vorkommenden Küchenschellen hat die Wissenschaft schon festgestellt, dass neben den Habitatsverlusten, Schadstoffeinträgen und der Überdüngung auch der Klimawandel Pflanzen und ihre Bestäuber unter Druck setzt, wenn die zeitliche Synchronisation von Schlupf und Blüte aus dem Tritt gekommen ist.
Wenn das Rendezvous der Pflanzen mit ihren tierischen Bestäubern nicht mehr zustande kommt und sie sich wegen der gestiegenen Temperaturen verpassen, dann sollte uns das Sorgen machen. Der zweite Frühling der Lichtnelken ist keine Eskapade und keine Anekdote der Natur, die man witzig finden kann oder auch nicht. Sie ist leider wohl auch ein Zeichen für viele ganz subtileSchäden im fragilen Netzwerk der Natur. Wenn extreme Wetterereignisse den Blühzeitpunkt von Pflanzen verschieben, dann ist das ein Warnsignal:
Die Lichtnelken Ende November warnen uns davor, was uns blüht, wenn etwas nicht mehr zur richtigen Zeit blüht.