Dünnhäutig

Die Rinde eines Baumes ist Schutzwall, Wachstumszone, Informationszentrum und Kommunikationsorgan in einem. Ein komplexes System, das für den Baum überlebenswichtig ist. Und sie ist ein Lebensraum für eine Vielzahl von Organismen, ein Biotop, dem wir mehr Beachtung schenken sollten.

Die dunkelgraue Rinde des Bergahorns (Acer pseudoplatans) ist sehr schwachborkig und blättert im fortgeschrittenen Alter schuppig bis plattig ab. Ursache hierfür ist das Wachstum des Laubbaums, das die hart gewordene äußere Haut des Baumes abplatzen lässt. Das Aussehen des Stamms ist dann platanenähnlich, wie es der Zusatz „pseudoplatanus“ im wissenschaftlichen Namen des Baumes schon ausdrückt. Der Stamm ist überzogen mit abplatzenden Rindenschuppen und darunter zeigt sich dann die neue Borke.

Wenn der Baum bei seinem „Frühjahrsputz“ sich wie im Bild großflächig von seiner abplatzenden Haut befreit hat, erinnert das sich dann zeigende grafische Muster an steinzeitliche Petroglyphen. So nennt man die Felsritzungen der Menschen der Jungsteinzeit, die der Archäologie bis heute Rätsel aufgeben. Auch wenn es so aussieht, dass der Baum beschädigt ist, ist das Ablösen der Borke ein ganz natürlicher Vorgang.

Im Frühjahr kann es zum „Bluten“ aus abgeschnittenen Ästen und verletzter Rinde kommen. Der zuckerhaltige Frühjahrssaft zieht Schmetterlinge wie die Ahorn-Eule und den Ahorn-Spinner an. Vögel und Mäuse ritzen die Rinde an, um an den zuckerhaltigen Frühjahrssaft zu gelangen. Auch der Mensch versuchte schon, den Zucker des Bergahorns zu nutzen.

Der Bergahorn gehört zu der Familie der Seifenbaumgewächse. Bei Regen oder Nebel lösen sich in der Rinde von Stamm und Ästen enthaltene Seifenstoffe (Saponine). So hält sich die Pflanze mit diesen bitter schmeckenden Stoffen Schädlinge fern. Wie Seifen lösen Saponine Fette in den Zellen von Schädlingen auf. Man kennt das so ja auch aus dem Garten, wo man seine Pflanzen mit einer einfachen Lösung aus biologisch abbaubarer Neutralseife vor einem zu hohen Blattläusebefall schützen kann, ohne gleich zur chemischen Keule zu greifen.

Die Rinde eines Baumes wie des Bergahorns bietet tausenden von Lebewesen ein Zuhause. Im Herbst hat die rissig gewordene Haut zahlreichen Insekten Schutz geboten für ihre Überwinterung. Was wir oft übersehen ist, dass Bäume und Sträucher in allen ihren Teilen als Nahrungs- und Schutzgeber für die Welt der Insekten eine wichtige Rolle spielen. Deshalb sind gesetzliche Regelungen, wie die zeitlich begrenzten Möglichkeiten ihrer Ausdünnung und Beschneidung problematisch. Längst geht es bei den Fragen der „Baum- und Heckenpflege“ nicht allein um den Vogelschutz. Wenn wir bei den Astungsaktionen und radikalen Rückschnitten bis hin zum Entfernen von Hecken uns nur durch den Schutz von nistenden Vögeln leiten lassen, dann greift das viel zu kurz. Wir vergessen dabei, dass solche Maßnahmen auch die Nahrungsgrundlage von Vögeln und Lurchen massiv gefährden, weil sie tiefe Einschnitte in die natürlichen Nahrungsketten darstellen.

Selbst wenn der Gesetzgeber das erlaubt, sollten Verwaltungen und Grundstückseigentümern im Artenschutz das Gebot der Stunde sehen. Beim Schutz von Bäumen und Hecken ist weniger auf jeden Fall immer mehr.

Der Bergahorn gehört zu den Edellaubhölzern und ist vor allem bei Instrumentenbauern sehr beliebt. Nicht nur die Seitenwände von Streichinstrumenten werden daraus gemacht, sondern auch das sogenannte Klangholz von Gitarren, Panflöten und anderen Instrumenten. Aber auch in der Möbelindustie ist das oft forstwirtschaftlich genutzte, helle Holz sehr begehrt.

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